Zur Erinnerung an Inge Latz

 

IngeKlavierkleinInge Latz wurde 1929 in Aachen geboren als €lteste von vier Schwestern.

Die Eltern unterhielten ein GeschŠftshaus fŸr Stoffe in DŸren, wo Inge zur Schule ging und Klavierunterricht erhielt. Die Mutter war als SŠngerin ambitioniert und Inge hatte ihr musikalisches Talent geerbt.

Nach dem Krieg studierte Inge Latz an der Musikhochschule Kšln Gesang und Klavier und schloss ab mit einem Staatsexamen im Fach Schulmusik. Das Geld fŸr ihr Studium verdiente sie sich in jahrelanger Nachtarbeit als Serviererin in einem DŸsseldorfer Nachtclub. Sie beobachtete die TŠnzerinnen, freundete sich an mit ihren Kolleginnen aus dem Servierbetrieb, die, wie sie erzŠhlte, "auf sie aufpassten". Und sie empfand es als diskriminierend, im knappen Dress die Serviertabletts schwingen zu mŸssen, wŠhrend die Herren der Schšpfung ihr Geld als Barpianisten verdienen konnten. Nach dem Hochschulstudium arbeitete sie mit dem GesangspŠdagogen Clemens Pabelick in Berlin - der Zarah Leander an ihre tiefen Tšne herangefŸhrt hatte, sonst aber vor allem angehende OpernsŠnger ausbildete. Inges besonderer, strahlender Koloratursopran lie§ sie auf eine Opernkarriere hoffen, doch sie gab ihre BŸhnenambitionen auf, nachdem sie eine Familie gegrŸndet und 3 Kinder bekommen hatte. Pabelick vertraute ihr einen Teil seiner SchŸler an, die sie in DŸsseldorf unterrichtete. Inge sprach von ihm als dem Lehrer, der ihr einen sehr kšrperlichen Zugang zu ihrer Stimme aufgezeigt hatte, einen Weg, den sie in ihrer Arbeit mit Frauen weiterentwickelte. Sie erzŠhlte aber ich Schauergeschichten von HeulkrŠmpfen und NervenzusammenbrŸchen, wenn die SchŸlerInnen den strengen Anforderungen des Lehrers nicht entsprachen. So nicht! Inge arbeitete Šu§erst behutsam, gleichzeitig klar, bestimmt und stets mit rheinischem Humor. Sie machte nie ein Aufhebens um ihre eigenen FŠhigkeiten, erst kurz vor ihrem Tod lie§ sie uns Tonaufnahmen aus den 60 er Jahren hšren, wo sie, stimmlich in Hochform, dabei war, sich bei Agenturen zu bewerben.

Inges Jugend war geprŠgt vom Krieg. Sie hatte ihre Heimatstadt DŸren als 15-JŠhrige von der nahen Eifel aus in Flammen stehen sehen. Nach dem gro§en Bombenangriff vom November 1944 waren viele ihrer Freundinnen und MitschŸlerinnen nicht mehr am Leben - Inges Mutter hatte, einer Eingebung folgend, die Familie aufs Land gerettet. Im Sommer nach Kriegsende zog Inge als 16- JŠhrige allein mit dem Fahrrad los aus der Evakuierung in der NŠhe von Hanau, um im Auftrag der Familie in DŸren nach dem Rechten zu sehen. Ganz auf sich allein gestellt, war sie gezwungen, sich einzig auf ihre eigene Wahrnehmung zu verlassen und bei Gefahr blitzschnell zu reagieren. Solche frŸhen Erfahrungen machten sie zu einer kŠmpferischen, aber auch tief spirituellen Frau.

In den ersten Jahren der Frauenbewegung ab Anfang der 70-er trat Inge Latz mit der Protest-Song-Gruppe "Bonner BlaustrŸmpfe" auf vielen politischen Veranstaltungen auf. Die Musik zu den satirischen Texten ( die meisten waren von Caroline Muhr ) war fast ausschlie§lich von ihr komponiert und sie coachte die SŠngerinnen. 1980 landete sie mit ihrer Sammlung "Frauen-Lieder" beim Fischerverlag einen Bestseller. Im Verlag Gisela Meussling veršffentlichte sie unter dem Titel " Alte Hexenlieder" Vertonungen alter Texte fŸr Frauen-Chor und (auch viele perkussive) Instrumente.

Sie suchte weiter nach neuem musikalischen Ausdruck und nach einer anderen Form des musikalischen Handelns. Sie begegnete dem Ausdruckstherapeuten Paolo Knill, tauschte sich aus mit dem Musiktherapeuten Helmut Decker-Vogt, und entwickelte aus dieser Zusammenarbeit einen eigenen ausdruckstherapeutischen Ansatz: eine frauenspezifische Musiktherapie.

Klang, Stimme und Kšrper sind ihre zentralen Begriffe, wenn es um Musik und Selbstheilung geht. Immer aus der Perspektive der Musikerin erforschte sie diese Themen und lie§ ihre SchŸlerinnen teilhaben an dieser spannenden Forschungsreise. Als strenge Beobachterin, mit dem geschulten Auge der Bhnenfrau, erfasste und gestaltete sie die Erfahrungsprozesse der Lernenden. Musiktherapie als Lernprozess, in dem das, was jedem Kind noch unverbogen an AusdrucksfŠhigkeit zu eigen ist, wieder zugŠnglich gemacht wird und dadurch neu gestaltet werden kann. Inge nahm jede Frau wahr in ihrem besonderen So-geworden-Sein und entwickelte in einem kommunikativen Prozess aus der Situation heraus ein je individuelles methodisches Vorgehen. Sie ermšglichte ein spielerisches Musizieren als Zugang zu unerwarteten neuen Erfahrungen und sie šffnete die Ohren und Augen fŸr das Klingen und Singen in der Natur.

Musikalisch vertiefte Inge Latz in diesen Jahren ihre FŠhigkeit der spontanen Improvisation am Piano, erlebte den inspirierenden klanglichen Austausch in der Gruppenimprovisation mit vielen teils ungewšhnlichen Instrumenten. In dieser Phase lernte ich Inge 1983 kennen.

Nach langen Jahren der musikalischen Suche wusste ich sofort: dies ist der richtige Weg fŸr mich und begann bei Inge Latz meine Ausbildung zur Musiktherapeutin. Nach der Ausbildungszeit bat mich Inge, ihr in den nŠchsten Ausbildungsgruppen zu assistieren und so konnte ich - insgesamt 10 Jahre lang - weiter von ihr lernen. Ich hatte 1985 im Frauentherapie-Zentrum MŸnchen zu arbeiten begonnen und brachte meine Erfahrungen in die Ausbildungsgruppen ein. In Bad Kšnigshofen etablierte zur selben Zeit Margarete Leube die frauenspezifische Musiktherapie im therapeutischen Konzept derMutter-Kind-Kuren und entwickelte zusammen mit Inge Latz musiktherapeutische Settings fŸr junge Frauen, die an Krebs erkrankt waren. Der intensive fachliche Austausch Ÿber die musiktherapeutische Arbeit speziell mit Frauen fŸhrte dazu, dass wir unseren Ansatz nun Frauen-Musiktherapie nannten. Wir stellten ihn Anfang der 1990er Jahre auf einem Kongress der Deutschen Gesellschaft fŸr Musiktherapie (DGMT) vor; Inge Latz war seit Ende der 80er Jahre dort PrŠsidiums-Mitglied.

Inge Latz hat ihr musikalisches VermŠchtnis in ihrem Buch "Die Stille wŸrde mich tšten" (Bonn 1987) zusammengefasst.

Die Frauen-Musiktherapie und auch den historischen Kontext unserer Arbeit versuchte ich 15 Jahre spŠter in meinem Buch "Musik ist eine Zauberin" (MŸnchen 2002) darzustellen.

Als Musikerinnen waren wir stets auf der Suche nach Zeugnissen unserer Ahninnen, die uns "auf dem Weg zu den HexenklŠngen" (so hie§ auch ein Kapitel aus Inges Stille-Buch) ermutigten. Wir suchten in der Eifel nach  den Matronen-Steinen,  erspŸrten im šsterreichischen Waldviertel die Kraft der Heilsteine. Wir erforschten die Steinritzungen auf der Kanaren-Insel La Palma, wo Inge sich 1992 einen Lebenstraum erfŸllte und eine alte Ruine gekauft hat. Und wir suchten in den BrŠuchen im eigenen Kulturraum nach alten musikalischen Riten, wie sie sich etwa in alten FaschingsbrŠuchen erhalten haben.

Ein wichtiges Element unserer Arbeit war und ist es, die Musik, die aus solchen Forschungen und aus tiefen eigenen Erfahrungen genŠhrt wird, auf die BŸhne zu bringen.

"Unterwegs zu den HexenklŠngen" hie§ eine Konzert-Reihe, in deren Rahmen Inge Latz ihr Buch "Die Stille wŸrde mich tšten" vorstellte.

1993 gaben wir zusammen jeden Monat ein Konzert in der Schwabinger Seidl-Villa mit Musikimprovisationen zu den Stationen einer "Musikalischen Jahres-Reise".

Ende Februar 1994 wurde bei Inge Krebs diagnostiziert. Sie wŸnschte sich, bei ihren Freundinnen und SchŸlerinnen in MŸnchen zu bleiben und wir hatten zusammen eine intensive Zeit: sie erzŠhlte aus ihrem Leben, sortierte alte Fotos, und wir lernten noch die junge BŸhnenfrau kennen, die zur Oper strebte und sich dann doch bewusst und ohne Reue fŸr einen anderen Weg entschieden hatte.

Am Ostermontag 1994 starb sie in der Kunigundenstrasse. Ich schreibe diesen Text 21 Jahre nach ihrem Tod.

Hinter der EingangstŸr zum Lifemusik-Haus hŠngt ein Foto von ihr, dazu der Satz: Deine Musik wird weiter leben!

Lifemusik goes on!

 

Eva-Maria Bauer, GrŸndonnerstag 2015

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